Bitte nicht alles aufräumen!
Kennen Sie die Bücher „Kunst aufräumen“? Ursus Wehrli, bekannt als die männliche Hälfte des Clownduos Ursus & Nadeschkin, zerlegt darin berühmte Gemälde in ihre Einzelteile und ordnet diese fein säuberlich neu – sortiert nach Farben, Formen, Körperteilen, Gegenständen. Die Originalität von Wehrlis Büchern liegt darin, dass die Ordnung, die sie den Ausgangsbildern aufzwingen, gerade das zunichte macht, was diese Bilder erst zu Kunstwerken werden liess.
Mitten im Quartier fühlte ich mich kürzlich an Wehrlis aufgeräumte Kunst erinnert: Sind Ihnen die drei Sitzbänke bei der neu eröffneten Burgwies auch aufgefallen? Erwartet hätte man, dass diese so installiert werden, dass sie alle in die gleiche Richtung blicken. Aber nein: Vom ersten Tag an war die eigenwillige Sitzbank in der Mitte um 180 Grad in die andere Richtung gedreht . Und bei jedem Vorbeigehen fragte ich mich, ob dies absichtlich so war, ob eine Falschmontage dazu führte, oder ob sich gar jemand inmitten der wohlorganisierten Planung einen Scherz erlaubt hat.
Doch nun ist sie abmontiert, die mittlere Bank, und es steht zu befürchten, dass sie – erst mal wieder installiert – säuberlich aufgeräumt in die gleiche Richtung weisen wird wie ihre beiden Nachbarinnen. Und damit zurück zur aufgeräumten Kunst: Genau wie für die Kunst gilt nämlich auch für eine Stadt, dass ein allzu säuberliches Aufräumen das zunichte macht, was sie als Stadt auszeichnet. Damit meine ich nicht den Abfall, der im öffentlichen Raum liegen bleibt – auch ich möchte Littering bekämpfen. Ich meine die Tendenz, jede städtische Unordnung, und damit nicht nur unerwünschtes Chaos, sondern eben auch vielfältige Freiräume und widersinnig erscheinende Ideen, einem gestalterischen – ordnenden – Eingriff zu unterziehen. Und so letztlich zum Verschwinden zu bringen.
Es ist nicht der einzelne Eingriff, der zu kritisieren ist. Vielfach ist dieser ebenso erwünscht wie im Ergebnis positiv. Gerade die neu gestaltete Forchstrasse ist ein gutes Beispiel dafür. Doch ist es unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, ein Übermass an Ordnung und Regulierung in öffentlichen städtischen Räumen zu vermeiden. Denn damit in den Städten die Lebendigkeit erhalten bleibt, braucht es die Fähigkeit, auch das Unaufgeräumte und das Ungeplante zuzulassen. Der Grat ist zugegebenermassen schmal. Aber Zürich gelingt es meist gut, ihn zu beschreiten. Doch müssen wir auch in unserer Stadt gegenüber der Tendenz, zu viel aufzuräumen, wachsam bleiben. Und zwar alle Parteien gleichermassen. So war etwa die SP in meinen Augen in der Vergangenheit mitunter zu unkritisch gegenüber den negativen Folgen sogenannter Aufwertungen – etwa steigenden Mietpreisen und daraus folgender Gentrifizierung. Der Gegenseite wiederum fehlt es zum Beispiel mit Blick auf die Zulassung von Strassenkunst am Willen, auf das Aufräumen zu verzichten.
Und so richte ich die Bitte an die Stadt: Lasst die Sitzbank bei der Burgwies, wie sie war. Denn ist sie nicht – wenn auch nur im Kleinen – ein schönes Symbol für die Unordnung und die Widerspenstigkeit, die unsere Stadt erst zu dem machen, was sie ist?
Rubrik „Aus dem Gemeinderat“, Züriberg vom 19. August 2015