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Die SP kapert die Freiheit

Mit einem neuen Buch versuchen die SP-Nationalrätin Min Li Marti und der SP-Stadtparlamentarier Jean-Daniel Strub, ihre Genossen aufzurütteln.

Daniel Fritzsche

Im Wahlkampf hat die Freiheit Hochkonjunktur. Kaum eine Partei, die nicht auch noch ein wenig liberal sein will. Die SVP nennt sich liberal-konservativ, die FDP ist freisinnig-liberal, Exponenten der Zürcher CVP halten die liberal-soziale Fahne hoch, die Grünliberalen tragen die Freiheit marketingtechnisch clever im Namen. Allein diese Aufzählung zeigt, wie breit und damit auch beliebig der Begriff im politischen Alltag verwendet wird.

Nur eine grosse Partei scheint die Freiheit zu fürchten wie der Teufel das Weihwasser: die SP. Zwar gibt es parteiintern die sogenannte «reformorientierte Plattform», in der sich Genossen mit «sozialliberalem Profil» wie dem Ständerat Daniel Jositsch versammeln. Deren Einfluss ist aber gering. Andere Sozialliberale wie die ehemalige Nationalrätin Chantal Galladé oder der frühere Zürcher Kantonalparteipräsident Daniel Frei haben der SP den Rücken gekehrt. «Die Partei ist immer linkskonservativer und intoleranter geworden», begründete Frei seinen Austritt im Mai.

Hat die SP ein Freiheitsproblem? Tatsächlich streicht sie in der öffentlichen Diskussion oft die negativen Begleiterscheinungen freiheitlicher Prinzipien hervor: Der freie Markt führt zu weltweiter Ungleichheit und Ungerechtigkeit, liberale Arbeitsgesetze beuten die Angestellten aus, laxe Werbevorschriften verleiten die Jugend zum Rauchen. Überall will die SP eingreifen.

Die Konsequenz: Die Sozialdemokraten werden als illiberale Kraft wahrgenommen, als Verfechter eines alles kontrollierenden «Nanny-States», der den Bürgern vorschreiben will, wie sie sich politisch korrekt zu verhalten haben.

Die Freiheit zurückerobern

Min Li Marti und Jean-Daniel Strub stört dieses Bild, das der SP anhaftet. Um Gegensteuer zu geben, haben die Zürcher SP-Nationalrätin und der SP-Stadtparlamentarier dieser Tage einen Sammelband zum Thema veröffentlicht. «Freiheit – Grundwert in Bedrängnis» haben sie ihr Werk getauft. Darin kommen linke Denkerinnen und Autoren zu Wort, aber nicht nur. In sogenannten Zwischenrufen äussern sich etwa auch Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen, FDP-Ständerat Andrea Caroni oder René Scheu, Feuilleton-Chef der NZZ, zum Thema.

«Wir wollten keine innerlinke Kampfschrift schreiben», sagt Marti. Ziel des Buches sei es, die Breite der Diskussion aufzuzeigen. Es sei auch nicht darum gegangen, anderen Parteien den Freiheitsbegriff abspenstig zu machen, sagt Strub. «Vielmehr wollten wir zeigen, welche Potenziale der Freiheit noch genutzt werden können – und wie sich die Sozialdemokratie dazu stellen kann.» Ein Stück weit wolle man sich die Freiheit auch «zurückerobern».

Historisch sei Freiheit nämlich ein «urlinker Begriff», sagt Marti. «Nur haben wir dies in letzter Zeit etwas vergessen.» Sie erinnert an Emanzipationsbewegungen von Frauen, Arbeitern und Minderheiten, die eng mit der Geschichte der Linken verbunden seien. Und an den Dreiklang «Freiheit, Gleichheit, Solidarität», auf den man sich wieder vermehrt berufen solle. «Die Freiheit ist ein zentraler Pfeiler der sozialen Bewegung», bekräftigt Strub.

Immer wieder Marx

Die Beiträge im Sammelband sind abwechslungsreich. Manche sind theoretisch gehalten, manche ausgesprochen praxisbezogen. Marx wird ausgiebig und an verschiedenen Stellen zitiert. Manche Aufsätze sind kurzweilig und witzig. So etwa der Prolog von Laura de Weck, in dem ein Paar über das «Freisein» diskutiert. «Ist nur der frei, der in Sicherheit ist?», fragt Vreni ihren Fritz. «Oder nehmen uns die Sicherheitskontrollen unsere Freiheit?» «Gibt es eine Freiheit, Minderheiten beschimpfen zu dürfen?» «Oder die Freiheit, Mauern zu bauen?» «Welche Freiheit soll denn nun beschützt werden, Vreni? Meine oder deine?»

Bereits in diesem kurzen verbalen Pingpong wird klar, dass es so eine Sache ist mit der Freiheit. Es gibt verschiedene Definitionen davon, und sobald man ins Detail geht, wird es kompliziert. Vor allem dann, wenn man wie die beiden Herausgeber des Bandes einem positiven Freiheitsbegriff nachgeht. Also der «Freiheit zu . . .» statt der «Freiheit von . . .».

«Wir sollten die Freiheit weiter fassen», sagt Strub. «Sie ist mehr als nur die Abwesenheit von Zwang.» Für ihn ist Freiheit ohne soziale Gerechtigkeit nicht zu haben. Zwar gebe es in der Schweiz und in der ganzen westlichen Welt heute ein hohes Mass an Freiheit und Wohlstand. Letzterer sei aber höchst ungleich verteilt. Es gebe bloss eine Freiheit für wenige, keinesfalls für alle.

«Für alle statt für wenige», das kommt einem bekannt vor. Es ist der Slogan der SP seit vielen Jahren. Auch in ihrem Parteiprogramm aus dem Jahr 2010 ist davon die Rede, dass Freiheit ihren Namen nur verdiene, «wenn sie allen Menschen ermöglicht, ein selbstbestimmtes und würdiges Leben zu führen und gleichberechtigt am Wirtschaftsprozess teilzunehmen». Die Gleichheit scheint der SP im Zweifelsfall dann doch wichtiger als die Freiheit.

Im Sammelband wird das Rad nicht neu erfunden. Marti und Strub gehen aber bekannten SP-Positionen auf den Grund, und dies ist durchaus interessant. Etwa dann, wenn sie in ihrem eigenen Beitrag gegen Ende des Buches die Förderung von genossenschaftlichem Wohnungsbau anpreisen. Die heutige Boden- und Immobilienpolitik habe zu «neofeudalen Verhältnissen» geführt und sei «in hohem Masse freiheitseinschränkend», schreiben sie.

Ärmere Leute könnten sich Wohnungen an gewissen privilegierten Lagen nicht mehr leisten. Da brauche es Abhilfe. Handlungsbedarf sehen sie auch bei der Mitbestimmung, sei es von Ausländerinnen in der Politik oder von Arbeitnehmern in Betrieben.

Krise der Sozialdemokratie

Die Schwäche einer solchen Argumentation: Mit ihr lässt sich fast jede politische Forderung begründen. Irgendwo ist immer die Freiheit von jemandem im Vergleich zu jemand anderem eingeschränkt. Die Herausgeber sind sich dieses Dilemmas bewusst. «Manchmal ist es tricky», sagt Min Li Marti. «Die Freiheiten muss man immer wieder austarieren.» Gewisse Widersprüche müsse man zulassen.

Als Beispiel nennt sie das Gurten-Obligatorium von 1981. «Damals wurde die Freiheit der Autofahrer eingeschränkt.» Anderseits habe sich die Zahl der Verkehrstoten seither drastisch verringert. «Was ist nun höher zu gewichten?», fragt die Nationalrätin.

Besonders interessant ist das Spannungsfeld in der Umweltpolitik. Der Journalist Marcel Hänggi nimmt sich dieses zurzeit allgegenwärtigen Themas in einem Beitrag an. Er treibt den Freiheitsbegriff sehr weit. Zum Beispiel dann, wenn er schreibt, dass in der Klimapolitik ein Verbot das liberalste Mittel überhaupt darstelle. «Man ist nicht liberal, indem man nicht verbietet, was Freiheiten vernichtet», findet er.

Als Beispiel nennt Hänggi das FCKW-Verbot von 1987, das eine schwere Beschädigung der Ozonschicht verhindert habe. Marti und Strub nehmen den Ball auf und sprechen von «Scheinfreiheiten des fossilen Zeitalters», welche die Diskussion zum Beispiel um die Mobilität heute noch beherrschten. In diesem Feld gelte es, neue Lösungen zu finden.

Die Politikerin und der Politiker, die sich aus ihrer gemeinsamen Zeit im Zürcher Stadtparlament kennen, wollen mit ihrem Buch eine Debatte anregen – gerade auch in der eigenen Partei.