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Politdeals am Kebabstand

Der Stadtzürcher SP wird vorgeworfen, dass sie sich seit ihrem Wahlerfolg nicht mehr um andere Positionen kümmert.

Von Marius Huber

In Zürich kursiert eine Geschichte über die Sozialdemokraten, deren Plot einem Comicheft entnommen sein könnte. Sie handelt von einer Partei, die nach dem Wahlsieg im Frühjahr entdeckt hat, dass sie über Superkräfte verfügt. Und die nun durch die städtische Politik zu walzen droht wie der Hulk, wenn das Temperament mit ihm durchgeht. Ein roter Sozi-Hulk, am Körper die Fetzen eines T-Shirts mit dem Aufdruck: «Für alle statt für ­wenige».

So überdreht die Geschichte klingt: Während hundert Tagen im Herbst schien sie vielen plausibel. Es waren die Tage, in denen Zürich über ein Stadion diskutierte, als wäre es eine Schicksalsfrage.

Tage, in denen die resolute Stadiongegnerin Jacqueline Badran wie eine Urgewalt über die SP-Delegierten im Weissen Wind kam und die eigene Stadtpräsidentin rhetorisch aus dem Saal pustete.

Tage, in denen sich die Elite des Zürcher Freisinns in einem Zunfthaus nervös Mut zuredete: Man müsse diese Abstimmung unbedingt gewinnen, sonst gäben in der SP künftig Fundamentalisten den Ton an, mit denen man sich nicht mal über das Wetter einig werde. Mission: «Stoppt den Hulk.»

Eine Frage, ein Kaffee

Wenn man während jener Tage wissen wollte, wer in der Zürcher SP für eine moderatere Politik stehe, für Kompromiss und Konsens, bekam man oft einen Namen zu hören, der wohl nur den wenigsten etwas sagt: Jean-Daniel Strub. Dieser 43-jährige Gemeinderat klopfte vor einem Jahr einmal beim «Tages-Anzeiger» an, weil er die in einem Kommentar gestellte Diagnose der zunehmenden Machttrunkenheit und Kompromisslosigkeit der SP daneben fand. Das sagte er aber nicht so, liess es sich auch kaum anmerken. Stattdessen stellte er eine Frage: «Wie kommt ihr eigentlich darauf?»

Bei einem Kaffee wurde rasch klar, wie fremd ihm persönlich die Attribute waren, die der Stadtzürcher SP zugeschrieben wurden. Strub ist die Antithese zum Hulk. Keiner, der mit seiner Präsenz einen Raum ausfüllt und Gegner niederbrüllt. Zurück­haltend, höflich, ernsthaft. Typ Geisteswissenschaftler – und tatsächlich ist Jean-Daniel Strub von Beruf Ethiker. Einer seiner wissenschaftlichen Schwerpunkte: Friedenstheorie.

Dem Kompromiss abgeneigt?

Strub verfocht den Standpunkt, dass seine Partei konsensorientierter sei als behauptet. So habe man etwa während eines kurzen, pragmatischen Mittagessens mit FDP-Parteipräsident Severin Pflüger eine gemeinsame Haltung zur Tagesschulvorlage gefunden. Einen substanziellen Kompromiss mit der FDP habe es bei der Subventionierung der Kulturhäuser gegeben: Einerseits habe man die Kulturbudgets gesichert, andererseits Kürzungen akzeptiert für den Fall, dass der städtische Haushalt aus den Fugen geriete.

Bloss ging all das bald darauf im Getöse des Wahlkampfs unter. Und danach erst recht, weil die SP stark zugelegt hatte und der Linken im Gemeinderat eine Mehrheit bescherte. Umso bemerkenswerter, dass Strub sein Argument inzwischen sogar verstärkt hat: «Wir haben noch nie so viel überparteilich zusammengearbeitet wie seit den Wahlen», sagt er.

Ein ganz anderer Ton als im Rat

Vertreter anderer Parteien zeichnen zum Jahresende ein ambivalentes Bild der SP. Viele werden nicht richtig schlau aus ihr. Es falle tatsächlich auf, dass sie sich mitunter auch dann um Schulterschlüsse über die Mitte hinaus bemühe, wenn sie das rechnerisch gar nicht nötig hätte. Es gebe zahlreiche konsensorientierte SP-Vertreter, neben Strub unter anderem Fraktionschef Davy Graf oder SP-Co-Präsident Marco Denoth, die sich ums Gespräch bemühten. Substanzielle Ergebnisse seien aber relativ rar. Es könne auch sein, dass die SP nur taktiere, um linke und rechte Verhandlungspartner gegeneinander auszuspielen.

Pascal Lamprecht widerspricht. Dialog- und Kompromissbereitschaft seien ihm wichtig, sagt der SP-Gemeinderat aus Altstetten. «Ich stimme in vielen wesentlichen Fragen mit den Vertretern anderer Parteien überein, denn das Leben in der Stadt verbindet uns – das darf man ruhig auch merken.» Er erzählt von Diskussionen, die einen ganz anderen Ton haben als das wöchentliche Theater im Ratssaal, wo die Politiker konsequent in ihrer Rolle bleiben.

Nach der Sitzung ins Flash

Es gibt in Zürich nebst dem Foyer des Rathauses eine Vielzahl von Treffpunkten, wo Politiker in lockerer Atmosphäre zu informellen Gesprächen zusammenfinden. Zum Beispiel am Goldbrunnenplatz. Dort, wo die Gemeinderäte aus den Kreisen 3 und 9 nach den Ratssitzungen manchmal einen Zwischenhalt einlegen, bevor sich ihre Wege trennen. «Flash» steht über der Tür des Ladens, drinnen laufen Musikvideos, und ein an die Wand genagelter Hecht schnappt nach der Luft, die schwer ist vom endlos drehenden Kebabspiess. In diesem unprätentiösen Rahmen kommen laut Lamprecht Vertreter aller Parteien ins Gespräch und haben Zeit, einander zuzuhören. So finde man gemeinsame Positionen.

Handfeste Belege können die SP-Gemeinderäte für dieses Jahr erst wenige vorweisen: einen GLP-Vorstoss für «Free-Floating-Carsharing» etwa, den sie mit einer Detailänderung mehrheitsfähig gemacht haben, oder ein Recht für alle Stadtbewohner ab 12 Jahren, politische Anliegen einzubringen. Es sei aber viel am Laufen, sagen sie.

Hat die Juso an Einfluss gewonnen?

SP-Fraktionschef Graf bestreitet nicht, dass sich mit den Wahlen etwas verändert hat. Seine Partei suche zwar nach wie vor breit abgestützte Lösungen, die langfristig Bestand haben. Gleichzeitig müsse sie aber auch den Wählerauftrag respektieren, der in der linken Mehrheit zum Ausdruck komme. «Unsere Aufgabe ist es, den Weg zwischen diesen Polen zu finden.» Es gebe Themen, die für die eigenen Wähler so zentral seien, dass man wenig Konzessionen mache. «Der Wohnbau etwa, da warten wir nicht auf die anderen.»

Die Konsenspolitiker aus der SP widersprechen dem Eindruck, der während der Stadiondebatte entstand: dass neuerdings Linksaussen-Positionen den Kurs bestimmen. Die frühere Fraktionsvorsitzende und heutige Nationalrätin Min Li Marti erinnert sich, dass es zu ihrer Zeit bisweilen heftigere interne Auseinandersetzungen gab – es sei aber besser gelungen, dies nicht öffentlich zu machen. Ihre Kurzanalyse: «Die SP ist nicht auf den eigenen Wahlerfolg vorbereitet gewesen und musste zuerst in ihre neue Rolle finden.» In dieser Situation hätten Juso-geprägte Nachwuchsleute aus der Geschäftsleitung an Einfluss gewonnen, die sich im Wahlkampf mit überdurchschnittlich viel Einsatz profiliert hätten.

Kurzfristige Knalleffekte

Ähnlich sieht man das auch bei den anderen Parteien. Es sei kein organisierter linker SP-Flügel zu erkennen, der das moderatere Establishment herausfordere, sagen Vertreter von FDP, GLP oder AL. Aber es gebe ein paar junge «Campaigner-Typen», denen der kurzfristige Knalleffekt näherliege als die grossen Linien – und die damit in den Medien überdurchschnittlich viel Beachtung fänden. Mehr als die Strubs, Grafs und Lamprechts, die beharrlich kleine Brücken bauen. Aber sie tun es weiterhin. Spät abends im Flash-Kebab, wo keiner zuschaut.