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Das blau-rote Wettrüsten

Tages-Anzeiger vom 9. März 2018

Mit ihrer neuen «FDP Urban» treten die Freisinnigen gegen die wachsende rot-grüne Dominanz in den Städten an. Sie entwickeln sich damit zum städtischen Hauptgegenspieler der SP – die mit ihrer «sozialdemokratischen Städtekonferenz» dagegenhält.

Von Fabian Renz

Die Stadt Zürich schröpfe die sie umgebende Landschaft, verpulvere Geld, feiere eine «Dauerparty», verriegele den Zugangsverkehr, verenge Strassen, hebe Parkplätze auf, und überhaupt, alle seien sie dort Egoisten: SVP-Publizist Christoph Mörgeli liess seinem antistädtischen Ressentiment in der gestrigen «Weltwoche» freien Lauf.

Mörgeli kann sich eine solche Katharsis freilich leisten. Seine Partei, eigentlich die wählerstärkste des Landes, hat in Zürich, aber auch in vielen anderen grossen Städten augenscheinlich abgewirtschaftet; am Wochenende erlitt sie in Zürich, Winterthur und anderen einwohnerreichen Kommunen des Kantons dramatische Niederlagen. Sie scheint damit auf einem ähnlichen Kurs wie die CVP, deren Stadtzürcher Sektion am Sonntag vollends in die Bedeutungslosigkeit abstürzte – noch unter das Niveau kleiner Spartenparteien aus der politischen Mitte wie die BDP und die EVP.

SP und Grüne dagegen haben nicht nur vielerorts zugelegt. Mit dem Sieg in Winterthur haben sie sich vor allem auch wieder die Exekutivmacht in sämtlichen Städten mit über 100 000 Einwohnern gesichert. Ein weiteres Mal schreiben die linken Parteien damit die Geschichte der letzten drei Jahrzehnte linear fort: die Geschichte einer scheinbar unaufhalt­samen Synchronisierung von urbaner Lebenswelt und rot-grüner Macht.

In die Führungsrolle gerutscht

Bleibt: die FDP. Als einzige bürgerliche Partei stellt sie sich in den Städten dem linken Vormarsch noch halbwegs ungebeugt entgegen – so wie in Zürich, wo sie ihren Wähleranteil zu halten und ihre zwei Exekutivsitze zu retten vermochte. Das ist zwar nur ein relativer Erfolg – aber einer, der verpflichtet. «Uns ist bewusst, dass uns im bürgerlichen Lager jetzt eine Führungsrolle zuwächst», sagt Beat Habegger, FDP-Kantonsrat und Stadtzürcher.

Manifest dieses Bewusstseins ist die von Habegger mitinitiierte «FDP Urban», die sich gestern in Bern den Medien präsentierte: eine lose Kooperative der freisinnigen Sektionen aus den acht grössten Schweizer Städten (Zürich, Genf, Basel, Lausanne, Bern, Winterthur, St. Gallen, Luzern). «Zusammenarbeiten», «koordinieren» und «unterstützen» will man sich, unterstützen im Bemühen, die urbane Schweiz für «praxisorientierte, liberale Lösungen» und, im Ergebnis, Wähleranteile zu gewinnen. Helfen hierbei soll die gezielte Bewirtschaftung von Themen, die den Städter besonders umtreiben. Dazu zählt insbesondere das «urbane Wohnen»: Setzen linke Stadt­regierungen und -parlamente vor allem auf gemeinnützigen Wohnungsbau, will die FDP Urban die Verdichtung und Aufstockung fördern und die Bauregulative entrümpeln.

Weitere Schwerpunkte sind die Mobilität (Förderung zukunftsträchtiger Verkehrs- und Transportsysteme, beispielsweise unterirdisch), der Fokus auf Kreativszene und Kleingewerbe (Erweiterung der unternehmerischen Spielräume) und die «Smart Governance» (Vorantreiben der Digitalisierung, insbesondere auch in der Verwaltung). Zielpublikum dieses Programms sind «unternehmerisch denkende Menschen», wie es der Berner Politiker Bernhard Eicher formuliert. Ausdrücklich will Eicher darunter auch Angestellte verstanden wissen.

FDP-Erfolg dank Start-up-Szene?

Der Wettbewerb um die Gunst der linken Kernklientel ist damit lanciert. Und die politische Entwicklung legt es in der Tat nahe, dass dieser Wettbewerb in den nächsten Jahren vornehmlich zwischen blau und rot ausgetragen werden dürfte. Die FDP Urban wirkt jedenfalls wie die freisinnige Antwort auf die neue sozialdemokratische «Städtekonferenz», deren erste Ausgabe letztes Jahr in Zürich stattfand. Die diesjährige Fortführung ist für Oktober in Basel geplant – die FDP Urban wiederum plant, ebenfalls für Herbst, eine geradezu symbolhafte Gegenveranstaltung in Zürich: eine «liberale Städtetagung».

Die freisinnigen Mühen könnten Früchte tragen, glaubt der Zürcher Politologieprofessor Daniel Kübler. Die FDP-Offensive in den Städten sei «erfolgversprechender als das Bemühen der SP, in die Agglomeration vorzudringen». Die sozialdemokratischen Rezepte, die auf staatlicher Unterstützung basierten, fänden bei den ­Agglo-Bewohnern wenig Anklang. «Dagegen gibt es dank der Start­up-Szene in den Städten für die FDP durchaus Wachstumspotenzial.»

Kübler begrüsst es, dass die Freisinnigen «aus ihrer Lethargie bei städtischen Themen» zu erwachen versuchten. In der Verkehrspolitik zum Beispiel hätten sie oft nur den «alten Gegensatz von Parkplätzen und Förderung des öffentlichen Verkehrs bewirtschaftet». Die neue Strategie, die auf moderne Verkehrstechnologien fokussiere, sei vielversprechender.

SP reagiert gelassen

Ob es der FDP damit gelingt, der Linken deren offenkundig zufriedenes Elektorat abspenstig zu machen? Bei der SP nimmt man die Herausforderung jedenfalls gelassen. Man liege inhaltlich von den Ideen der FDP Urban gar nicht so weit entfernt, sagt der Zürcher SP-Gemeinderat Jean-Daniel Strub, Initiator der Städtekonferenz. Strub freut sich sogar ein bisschen: Der Einfluss der Städte auf die nationale Politik sei viel zu gering; die FDP Urban könne hier positive Impulse geben. Und zum Konkurrenzverhältnis meint Strub: «Wenn Coop eine Filiale neben der Migros baut, steigert es den Umsatz von beiden.»